Toleranzbereich, Ökologische Potenz, Toleranzkurve und Umweltfaktoren

Eine Ausarbeitung von Philipp Hauer. Datum: 20.05.2008. Update: 29.12.2012. ©

Inhalt

  1. Allgemeine Toleranzkurve und Toleranzbereich mit Fachtermini
  2. Stenökie und Euryökie
  3. Konkrete Toleranzbereiche
    1. Temperatur-Toleranzkurven im Vergleich
    2. Toleranzkurven zum Wassergehalt des Bodens
    3. Salztoleranz
    4. Wassertemperatur-Toleranz
    5. Längenzuwachs relativ zur Temperatur
  4. Weblinks
  5. Quellen

Allgemeine Toleranzkurve und Toleranzbereich mit Fachtermini

Alle Lebensprozesse basieren auf chemischen Reaktionen. Für diese bedarf es allerdings einer spezifischen Temperatur, sodass Wärme für jeden Organismus lebensnotwendig wird. Die konkreten Ansprüche an den Umweltfaktor Temperatur können sich von Organismenart zu Organismentart teilweise gravierend unterscheiden. Jene Ansprüche lassen sich in Form von Toleranzkurven illustrieren:

allgemeiner Toleranzbereich mit biologischen Fachbegriffen

Fachterminus Erklärung
Toleranzbereich Als Toleranzbereich eines Lebewesens versteht man jenen Bereich, in dem die bloße Existenz des Lebewesens möglich ist. Sie ist durch das Minimum und das Maximum begrenzt.
Toleranzkurve Die Toleranzkurve ist die konkrete Intensität der Lebensvorgänge/Aktivität des Lebewesens im Toleranzbereich als Reaktion auf Veränderungen des Umweltfaktors.
ökologische Potenz Die ökologische Potenz beschreibt den Bereich, in dem Fortpflanzung, Bewegungsaktivitäten und Entwicklung stattfinden kann. Sie umfasst den Toleranzbereich abzüglich des Pessimums. "[Sie] beschreibt die [genetisch festgelegte] Fähigkeit eines Lebewesens, Schwankungen von Umweltfaktoren bei gleichzeitiger Einwirkung von Konkurrenz innerhalb des Toleranzbereiches zu ertragen und darüber hinaus zu gedeihen und sich fortzupflanzen" [3]. Sie legt somit fest, was einem Organismus theoretisch möglich ist. Jedoch verhindert meist Konkurrenz ein volles Ausschöpfen der ökologischen Potenz.
Minimum, Maximum Das Minimum und das Maximum bilden die äußersten Grenzen für die Lebensfähigkeit des Organismus'. Werden diese Punkte überschritten, tritt der Tod ein. Sie begrenzen das Vorkommen einer Art in der Biosphäre.
Optimum/Präferendum Das Optimum/Präferendum beschreibt den für die Organismenart günstigsten Wert, den Vorzugsbereich. Hier erreichen die Lebensvorgänge ihren höchsten Wert. Höhere oder niedrigere Werte bedeuten eine Verschlechterung der Lebensbedingungen für den Organismus.
Pessimum Nähert sich die Toleranzkurve den Maximum bzw. dem Minimum an, so spricht man vom Pessimum. Hier ist zwar kurzzeitig Existenz, aber keine Fortpflanzung, Entwicklung und ähnliches möglich.

Jedes Tier lässt sich durch unzählige solcher Toleranzkurven und Toleranzbereiche charakterisieren. Dabei lässt sich zu jedem abiotischen und biotischen Umweltfaktor eine solche bestimmen. Beispiele für solche Umweltfaktoren sind:

  • Temperatur,
  • Wasser (Wassergehalt, Wassertiefe)
  • Licht,
  • Bodengeschaffenheit (z. B.: Salzgehalt, Wassergehalt),
  • pH-Wert und
  • Nahrung

Stenökie und Euryökie

Zusätzlich lassen sich Toleranzbereiche durch die Termini stenök für enge und euryök für weite Toleranzen klassifizieren.

stenök (eng) euryök (weit)
enger Toleranzbereich (stenök)

Tiere mit einem stenöken Toleranzbereich sind kaum in der Lage Schwankungen des Umweltfaktors zu ertragen.
weiter Toleranzbereich (euryök)

Tiere mit einem euryöken Toleranzbereich haben die Fähigkeit große Schwankungen des Umweltfaktors zu ertragen.
stenök (eng) euryök (weit)
gegenüber Temperatur: Bachforelle, Schneealge Ratte, Purpurseerose
gegenüber Nahrung: Koala, Panda Schwein, Ratte

Ratten haben einen breiteren Toleranzbereich (euryök) hinsichtlich des Umweltfaktors Temperatur als Bachforellen (stenök).

Nahrungsspezialisten wie Koalas oder Pandas sind wesentlich anfälliger für Schwankungen im Nahrungsangebot (stenök) als Allesfresser wie Schweine und Ratten (euryök) mit großer Nahrungstoleranz.

Die geografische Verbreitung von Arten lässt Rückschlüsse auf deren Vorzugs- und Toleranzbereich zu. Weltweit in verschiedenen Klimazonen vorkommende Organismenarten haben im Bezug zur Temperatur (und wahrscheinlich auch zu anderen Faktoren) einen weiten Toleranzbereich. So kommt die Purpurrose (Actinia equina) an den Küsten aller Weltmeere vor (euryök), wobei die Schneealge (Chlamydomonas nivalis) nur bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gedeihen kann (stenök). Sie kommt vor allen in Hochgebirgen und Schneefeldern vor.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Umweltfaktoren die Existenz eines jeden Individuums maßgeblich beeinflussen und somit auch die gesamte Population einer Art. Herrschen extreme Bedingungen, so überleben nur jene Arten, bei denen diese Bedingungen im Toleranzbereich inbegriffen sind. Daher haben stenopotente Tiere (Tiere mit stenöken Toleranzbereich) ein i. d. R. kleines Verbreitungsgebiet und sind auf spezielle Lebensräume angewiesen. Allerdings wirken in einem ökosystem viele verschiedene Umweltfaktoren auf einen Organismus ein. Dabei kann ein Tier für einen Faktor stenök für den anderen aber durchaus euryök sein. Unsere Purpurrose hat eine weite Temperaturtoleranz, außerdem kommt sie auch gut mit einem schwankenden Wasserspiegel und Salzgehalt aus. Der Faktor Wassertiefe gegenüber ist sie jedoch weitaus empfindlicher: Die Purpurrose wächst nur in wenigen Metern Tiefe (vermutlich aus Nahrungsgründen). Daraus folgt das Wirkungsgesetz der Umweltfaktoren:

Wirkungsgesetz der Umweltfaktoren

Die Häufigkeit einer Art wird durch die Faktoren bestimmt, die am weitesten vom Optimum entfernt sind.

Die Grundlage dieses Gesetzes wurde bereits vom Chemiker Liebig 1862 entdeckt, als er den Nahrungsbedarf von Pflanzen untersucht: "Der Ernteertrag wird von dem Nährstoff bestimmt, an dem es im Ackerboden am meisten mangelt."

Das bedeutet: Selbst wenn sich alle anderen Umweltfaktoren im Toleranzbereich bewegen, so genügt nur ein Faktor außerhalb diesem, um eine Populationsentwicklung zu verhindern.

Oft ist die Populationsanzahl der beste Indikator zur Definition einer Toleranzkurve für eine Tierart. Dabei gilt: Nimmt die Populationsanzahl ab, so nährt sich der Umweltfaktor dem Maximum bzw. dem Minimum, ist sie auf dem Höchststand, so liegt ein Optimum vor.

Konkrete Toleranzbereiche

Im Folgenden werden zahlreiche, verschiedenartige Diagramme und Karten zum Thema Toleranzbereich vorgestellt. Dabei geht es vor allem um die Auswertung solcher Diagramme und weniger um biologische Korrektheit.

Temperatur-Toleranzkurven im Vergleich

Das Verhältnis der Populationsanzahl von Küchenschaben (Blatta orientalis) und Heimchen (Acheta domesticus), einer Grillenart, gegenüber der Temperatur lässt sich wie folgt darstellen:

Toleranzbereich der Küchenschabe und des Heimchens nach [2]

Tabellarische Ausweitung:

  Küchenschabe Heimchen Schlussfolgerung
Minimum 27,5 °C 31,5 °C Küchenschabe ist unempfindlicher gegenüber kalten Temperaturen als Heimchen und bevorzugen diese.
Maximum 34,5 °C 41 °C Heimchen sind unempfindlicher gegenüber warmen Temperaturen als Küchenschabe und bevorzugen diese.
Toleranzbereich 4 °C ab 27,5 °C 6,5 °C ab 31,5 °C Küchenschabe: stenöker (enger) Toleranzbereich; Heimchen: euryöker (weiter) Toleranzbereich.
Optimum 30,5 °C --> 34 Tiere 35,5 °C --> 50 Tiere Populationshöhepunkte bei verschiedenen Temperaturen. Heimchen größere Population.
Fazit: Küchenschabe leben in kälteren, Heimchen in wärmeren Regionen.

Mit diesem Beispiel stoßen wir auf die Thematik der Konkurrenz und Einnischung. Küchenschabe und Heimchen besitzen bis auf eine kleine Schnittmenge bei 31,5 - 34,5 °C fast vollkommen verschiedene Toleranzbereiche, sodass sie nur selten zusammen auftreten. Daher konkurrieren sie nicht um Nahrung und Raum -> Sie belegen unterschiedliche ökologische Nischen.

Aus dem Vergleich von Toleranzbereichen verschiedener Arten lassen sich Rückschlüsse auf die Konkurrenz und ökologische Nischen ziehen.

Toleranzkurven zum Wassergehalt des Bodens

Die Erträge bei Sommerroggen, Erbsen und Kartoffeln lassen folgende Abhängigkeit vom Wassergehalt des Bodens erkennen (Erträge in relativen Einheiten):

Erträge in Abhängigkeit vom Wassergehalt des Bodens

  Sommerroggen Erbsen Kartoffel
Minimum keine genaue Angabe möglich keine genaue Angabe möglich keine genaue Angabe möglich
Maximum 100% 100% 100%
Toleranzbereich eher weit/euryök vergleichsweise eng/stenök vergleichsweise eng/stenök
Optimum 60% -> ~92 60% -> ~82 80% -> 100
Schlussfolgerung höhere Wassertoleranz geringere Wassertoleranz geringere Wassertoleranz, jedoch höchsten Ertrag möglich.

Salztoleranz

Bestimmte Fischarten können in salzigeren Gewässern leben als andere. Es besteht somit ein Toleranzbereich bei Fischen hinsichtlich des Salzgehalts des Wassers. Im folgenden Diagramm ist das Maximum verschiedener Fischarten abgebildet:

Salztoleranz bei Fischen nach [1].

Es zeigt sich eindeutig, dass der Plattfische den breitesten Toleranzbereich (euryök) mit einem Maximum bei 0,08 Promille Salzgehalt hat. Es folgt der Stichling mit 0,045 (Maximum) und einem eher euryöken Toleranzbereich. Die Forelle hat einen eher stenöken Toleranzbereich mit dem Maximum bei 0,03 Promille. Schließlich der Karpfen mit einem stenöken Toleranzbereich und einem frühen Maximum bei 0,01 Promille. Somit ist der Karpfen am anfälligsten gegenüber Schwankungen im Salzgehalt des Wassers. Auf der anderen Seite ist der Plattfisch am unempfindlichsten, und kann sich somit unabhängiger vom Faktor Salzgehalt verbreiten.

über die genaue Ausprägung der Toleranzkurve gibt dieses Schaubild keine Auskunft.

Wassertemperatur-Toleranz

Die Verbreitung der tropischen Korallenriffe und der Sardinenfische in Abhängigkeit von der Wassertemperatur ergibt folgende Weltkarte:

Verbreitung der Riffkorallen und er Sardinenfische in Abhängigkeit von der Wassertemperatur nach [2].

Tropische Korallenriffe existieren nur in Bereichen der Erde die nur selten eine Wassertemperatur von 20°C unterschreiten. Daher beschränkt sich die Existenz von Korallen auf 30° nördlicher bis 30° südlicher Breite. Somit lässt sich aus dem Wissen um das Vorkommen der Korallen auf Teile ihres Toleranzbereiches schließen: Das Minimum der Korallenriffe liegt bei knapp unter 20°C.

Analog lässt sich für Sardinenfische ableiten:

  • Minimum: ~ 10 °C Wassertemperatur
  • Optimum: ~ 20 °C Wassertemperatur
  • Maximum: ~ >25 °C Wassertemperatur

Wichtig bei solchen Betrachtungen ist immer die Tatsache, dass das Vorkommen einer Art von zahlreichen abiotischen und biotischen Faktoren abhängt und nicht nur von einer: Die konkrete Populationanzahl ist immer die Schnittmenge aller Toleranzkurven einer Art.

Längenzuwachs relativ zur Temperatur

Versuche zum Längenwachstum von Lupinenwurzeln, die jeweils 24 Stunden unter verschiedenen Temperaturen gehalten wurden, ergaben die in der nachfolgenden Abbildung dargestellten Ergebnisse:

Längenwachstum von Lupinenwurzeln in Abhängigkeit zur Temperatur

Variante I:

Die Lupinenwurzel hat bei 30°C ihr Optimum, da sie dort am besten wächst (30 mm Längenzuwachs). Bei weniger oder mehr Temperatur wächst sie weniger gut bis bei 10 °C ihr Minimum und bei 40° ihr Maximum erreicht. Minimum und Maximum grenzen den Toleranzbereich von 0 - 45 °C ein, also den Bereich wo Existenz möglich ist. Außerhalb diesen findet kein Wachstum statt. Das Präferendum könnte im Bereich von 25 °C - 32 °C liegen; das Pessimum bei 0 - 10°C bzw. 40 - 45 °C.

Allerdings entsteht keine gerade Parabel, da der Längenzuwachs nach dem Optimum 30°C rapide fällt, zumal er bis dorthin langsamer gestiegen ist. Nun lässt sich mutmaßen, dass der Toleranzbereich bei hoher Temperatur eher stenök und bei niedriger eher euryök ist.

Auch findet hier die RGT-Regel (Reaktions-Geschwindigkeits-Regel) Anwendung, da die Enzyme in der Pflanze nur bei Temperaturen um 30°C optimal arbeiten bzw. Reaktionen zum Wachstum durchführen können. Fällt die Temperatur um 10 °C, sinkt der Längenzuwachs um ganze 20 mm; steigt sie um 10°C, sinkt der Längenzuwachs um ganze 26 mm!

Variante II:

Die Tatsache, dass im Diagramm das Wachstum - also eine Charakteristika der ökologischen Potenz - dargeestellt ist, lässt einen anderen Ansatzpunkt zu: Wenn Wachstum stattfindet, befindet sich die Pflanze in ihrer ökologischen Potenz. Im Umkehrschluss bedeutet kein Wachstum nur Ende der ökologischen Potenz, aber nicht des Toleranzbereiches. Daher lässt sich nicht eindeutig Toleranzbereich, Minimum und Maximum aus dem Diagramm ablesen.

Weblinks

Physiologische und ökologische Potenz, Euryök und Stenök bei Lukopolis Biologie von Lukas Hensel.

Quellen

  • [1] Wolfgang Miram, Karl-Heinz Scharf (Hrsg.): "Biologie heute SII". Schroedel Verlag GmbH (1997). Hannover
  • [2] Lutz Hafner, Eckhard Philipp (Hrsg.): "Ökologie". Schroedel Schulbuchverlag GmbH (1986), Hannover
  • [3] Wikipedia: "Ökologische Potenz". URL: http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96kologische_Potenz [Stand: 20.05.08]