Der Aufbau des klassischen Dramas am Beispiel von "Macbeth" (Shakespeare) und "Iphigenie auf Tauris" (Goethe)

Eine Ausarbeitung von Philipp Hauer. 13.11.2007. ©

Inhalt

  1. Die Theorie des klassischen Dramas
  2. Beispiel 1: William Shakespeare - Macbeth
  3. Beispiel 2: Johann Wolfgang Goethe - Iphigenie auf Tauris

Die Theorie des klassischen Dramas

Der Aufbau eines klassischen Dramas allgemein

1. Akt: Expositon

  • Einführung in Handlung, Personen, Stimmung, Situation, Ort, Zeit (--> Wer?, Was?, Wo?, Wann?)
  • Der Konflikt wird angedeutet und initiiert.

2. Akt: Steigende Handlung

  • Steigerung der Spannung auf weiteren Verlauf der Handlung, welcher komplizierter wird.
  • Entwicklung des Geschehens beschleunigt sich.
  • Tragödie: Held scheint den Verlauf der Handlung trotz Rückschläge zu kontrollieren.
    Komödie: Held scheint die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren.

3. Akt: Höhepunkt (Klimax) mit Peripetie

  • Des Helden Geschick ist auf dem Höhepunkt (Tragödie) oder auf dem Tiefpunkt (Komödie)
  • Held macht entscheidende Auseinandersetzung durch
  • Peripetie - Wendung in Handlung und im Geschick/Glück des Helden

4. Akt: Fallende Handlung

  • Das Geschick des Helden fällt (Tragödie) oder steigt (Komödie).

4. Akt: Retardation/retardierendes Element

  • Spannungserhöhung durch Verzögerung der Handlungsentwicklung

5. Akt: Lösung des Konflikts

  • durch Katastrophe, Untergang des Helden, Happy End
  • Finale Auflösung aller Ereignisse.

Beispiel 1: William Shakespeare - Macbeth

Der Handlungsaufbau von Macbeth ist ein Vorzeigebeispiel für das klassische Drama (Regeldrama).

Aufbau des klassischen Dramas am Beispiel von Macbeth (Shakespeare)

Element Akt Relevante Handlungszüge
Exposition 1 Die Hauptpersonen Macbeth, Duncan und Banquo und ihre Beziehung zueinander werden vorgestellt. Die 1. Prophezeiung der Hexen bringt die Handlung in Gang. Lady Macbeth ermutigt Macbeth sein Schicksal in die Hand zu nehmen und den König Duncan zu ermorden, um selber König zu werden. Der Aufstieg Macbeth wird vorbereitet
Steigende Handlung 2 Macbeth ermordet Duncan und wird selber König. Die Prophezeiung hat sich bewahrheitet.
"" 3 Macbeth lässt Banquo ermorden. Somit ist die Prophezeiung, Banquo werde der Vater von Herrschern sein, verhindert.
Höhepunkt 3 Alle Teile der 1. Prophezeiung sind wahrgeworden bzw. wurden verhindert. Macbeth ist auf dem Höhepunkt seines Geschicks/seiner Macht.
Fallende Handlung 3 Der Fall Macbeth' beginnt. Die englische Armee unter Führung von Macduff und Malcolm ziehen in den Krieg gegen Macbeth.
Retardation 4 Die 2. Prophezeiung wiegt Macbeth in trügerischer Sicherheit. Die Spannung wird erhöht: Könnte Macbeth am Ende als Sieger hervorgehen?
Fallende Handlung 5 Lady Macbeth, geplagt von Halluzinationen, begeht Selbstmord. Die englischen Soldaten tarnen sich mit Zeigen und ästen und es scheint, als ob der Wald von Birnam selbst sich auf Macbeth' Schloss zu bewegt (--> Ein Teil der 2. Prophezeiung ist erfüllt). Die Situation Macbeth' verschlechtert sich zusehends.
Katastrophe 5 Im Kampf mit Macbeth enthüllt Macduff, dass er durch ein Kaiserschnitt zur Welt bekommen ist (--> Letzter Teil der 2. Prophezeiung ist erfüllt). Der Untergang es Helden ist somit unvermeidbar: Macduff tötet Macbeth.

Beispiel 2: Johann Wolfgang Goethe - Iphigenie auf Tauris

Zwar ist Goethes "Iphigenie auf Tauris" kein klassisches Drama, sondern ein Schauspiel, jedoch ist es ein Werk der Weimarer Klassik, in der das Fünf-Akt-Schema Einzug gehalten hat und nachgewiesen werden kann, obwohl es von der Theorie teilweise stark abweicht.

Aufbau eines klassischen Dramas am Beispiel von Iphigenie auf Tauris (Goethe)

Element Akt Relevante Handlungszüge
Expostion 1 Iphigenie, Thoas und ihr Konflikt werden vorgestellt: Iphigenie ist hin und her gerissen zwischen Heimweh, ihren Idealen und Grundsätzen und der Verpflichtung Thoas und den Göttern gegenüber.
Retardation 1 Thoas bittet um Iphigenies Hand an, wodurch sich ihre Situation verbessern könnte.
Steigende Handlung 1 Doch sie lehnt eine Heirat ab, wodurch Thoas die Opfer wieder einführt, wodurch Iphigenies Dilemma steigt.
"" 2 Orest und Pylades, die Opfer, werden vorgestellt sowie ihr Plan zu flüchten. Der Konflikt mit Thoas' Plänen wird deutlich. Orest ist pessimistisch. Die Spannung steigt, da die Lage zusehends verzweifelter wird.
Höhepunkt mit Peripetie 3 Orest wird depressiv und wahnsinnig. Die Aussichtslosigkeit aus eine Lösung ist hier am höchsten. Jedoch genest Orest und wird optimistisch, sodass eine Lösung wieder möglich erscheint. Der Wendepunkt in der Handlung ist erreicht.
Fallende Handlung 4 Arkas drängt im Namen Thoas auf eine Beschleunigung der Opferhandlung. Iphigenie versucht diese durch Ausflüchte herauszuzögern. Pylades' Plan zur Flucht läuft wie geplant.
Retardation 4 Iphigenie ist verzweifelt und zwischen dem Fluchtplan, ihrem Gewissen und der Pflicht Thoas gegenüber hin und her gerissen. Die Möglichkeit eines positiven Ausgangs wird in Frage gestellt.
"" 5 Der Fluchtplan ist vereitelt, die Lösung durch List und Tücke verhindert und nun hängt alles von Thoas ab, der erbost...
Happy End 5 ... jedoch schließlich nachgibt und Iphigenie, Orest und Pylades von dannen ziehen lässt.

Es ist zu erkennen, dass Goethes "Iphigenie auf Tauris" - zumindest leicht - von der konventionellen 5-Akt-Struktur abweicht. So besitzt das Schauspiel gleich 3 retardierende Elemente. Bemerkenswert ist auch die untypische Position der Retardationen (Akt I, Szene 3 und Akt IV, Szene 6): Eine befindet sich bereits in der steigenden Handlung und die anderen in der letzten Szene des Schauspiels. Auch variierte die Anzahl der Szenen in den Akten stark (Akt I:4 Szenen; Akt II: 2 Szenen; Akt III: 3 Szenen; Akt IV: 5 Szenen; Akt V: 6 Szenen).