DDR-Kunst am Beispiel von Willy Wolff: "Knöpfe mit Außenseiter"

Eine Klausur von Philipp Hauer. Erstellt: 27.02.2008. Veröffentlicht: 04.04.2008. ©

Inhalt

  1. Die DDR-Kunst
  2. Willy Wolff: "Knöpfe mit Außenseiter"
    1. Bildanalyse
    2. Interpretation
    3. Ergänzung von Pan Wolff, Sohn Willy Wolffs

Die DDR-Kunst

DDR Flagge

Die DDR-Kunst war geprägt vom Ziel eine antifaschistische, sozialistische und realistische Kunst zu schaffen, eine dienende Staatskunst. Die Kunst sollte dem einfachem Volk näher gebracht und verständlich gemacht werden. Dabei gab die SED nicht nur die inhaltlichen Themen vor, sondern auch die Gestaltungsweise: Die Kunst sollte nach dem sowjetischem Vorbild  dem „Sozialistischem Realismus“ entsprechen. Also eine Kunst, die auf die naturgetreue, verherrlichende Darstellung der kommunistischen Gesellschaft abzielt und eine erzieherische Aufgabe erfüllt, dabei aber bewusst gegenständlich und figurativ ist.

Somit wurde die Kunst im Kampf gegen den westlichen „Klassenfeind“ (und dessen Kunst: Abstraktion) instrumentalisiert. So wurde von den Künstlern Parteilichkeit erwartet. Ihre Werke wurden einer Zensur unterworfen und sie wurden vom internationalen Kunstgeschehen isoliert.

Weiterhin mussten Künstler zu den Arbeitern gehen, ihnen ihre Kunst erklären, um zu suggerieren die Arbeiter seien an der Kunst involviert und sich von den Arbeitern in ihre Kunst reinreden lassen. Darunter litten die künstlerische Freiheit und das Niveau der Kunst ungemein.

Beliebte Motive der Kunst waren die Heroisierung der Arbeiterklasse, also das Darstellen von Helden, Vorbildern und Arbeiterkollektiven.

Durch die großen inhaltlichen Zwänge wurde die Wahrnehmung vieler Künstler beeinträchtigt, sodass ihre Werke aufgesetzt optimistisch, dumpf, gedankenschwer und nicht zeitgemäß wirkten.

Das Ziel der Einheit von Volk und Künstler, Leben und Kunst zu erreichen brachte eine belanglose, da nicht freie Kunst hervor, mit übertriebenen Pathos und dekorativer Oberflächlichkeit  von der international keine Notiz genommen wurde.

In den 60er Jahren hab es 2 Konferenzen in Bitterfeld in dem die harten Richtlinien für die Kunst gesetzt wurden, welche aber schon Jahre vorher praktiziert wurden. In diese Zeit fällt das Bild von Willy Wolff, welcher unter den starken ideologischen Zwängen der SED entstand. Das Werk musste der Ideologie und dem Sozialistischen Realismus entsprechen.

Erst in den 70er Jahren wurden dann die inhaltlichen Zwänge etwas gelockert, die Partei behielt aber die Oberhand. Dennoch hatte die Leipziger Schule mit ihren abweichenden Künstlern eine Vorbildwirkung für Folgegenerationen. Dadurch könnten in den 80ern dann erste Ausstellungen ohne Zensur stattfinden. Erst in den 90ern – nach der Wende – könnten die DDR-Künstler in die internationale Avantgarde aufrücken.

Bildanalyse

Bei der Betrachtung Willy Wolffs als Künstler der DDR ist zu beachten, dass er definitiv kein Künstler war, der das tat, was man von ihm erwartete. Er ging seinen eigenen Weg, fernab der Kunstdoktrin der DDR. Daher ist er nicht das typische Beispiel eines systemtreuen Künstlers der DDR. Doch dazu mehr im Anschluss an die Klausur.

Willy Wolff - Knöpfe mit Außenseiter
Willy Wolff - Knöpfe mit Außenseiter, 1955/56, Feder, Tusche, 285 x 425 mm, Dresden: Staatliche Kunstsammlung (Kupferstich-Kabinett)

Zur Analyse steht das Bild „Knöpfe mit Außenseiter“ von Willy Wolff aus dem Jahre 1955/56.

Zusehen sind 3 Flächen: die hellgraue Boden in der unteren Hälfte, die grau-weiß in Strichen strukturierte Wand, und die schwarze Fläche im unteren linken Drittel des Bildes.

Auf dem Boden befinden sich eine Vielzahl von stehenden Knöpfen unterschiedlichster Machart, die einen Schatten werfen und sich auf die Spule zuzubewegen scheinen, sowie 4 Spulen, die im rechten unteren 2/3 der Bildkante beginnen und sich zur Mitte hin verdichten; dort wo 2 Türme aus je 2 leeren Spulen stehen.

Den Schwerpunkt bilden ganz klar die Spulentürme, die sich etwas links vom Bildmittelpunkt befinden, was sie spannender erscheinen lässt. Außerdem bilden die Knöpfe einen Art Trichter, der auf die Spulen verweist und sie damit betont. Dazu kommt, dass sich die Knöpfe um die Spule herum verdichten. Dort finden wir somit einen dunklen Fleck mit interessanten Strukturen.

Die Anordnung der Knöpfe ist ungeordnet und asymmetrisch, was sie nur noch interessanter und lebendiger macht.

über das Knopfheer ragen weit die Spulentürme heraus; sie heben sich damit deutlich von diesen ab. Jeder Spulenturm besteht aus einer kleinen Spule, die auf einer größeren steht, was sie eine Art Dreiecke bilden lässt. Alle 4 Spulen sind leer.

Links von den Spulen sieht man einen einsam wirkenden Knopf, der die Spitze des Knopfdreiecks bildet.

Willy Wolff - Knöpfe mit Außenseiter

Ein ebenso wichtiges Element der Komposition ist die schwarze Fläche unten links. Sie ist flächig schwarz und bildet damit den Kontrast zu der Fläche der verschiedenen Knöpfe. Dadurch baut sich unmittelbar Spannung zwischen diesen beiden Flächen auf – eben genau dort wo ca. die Spulen stehen, was sie noch weiter betont.
Außerdem bildet ebenfalls die schwarze Fläche unten einen Winkel, der auf die Spulen verweist  und ist im goldenen Schnitt angeordnet. Allerdings wirkt die Fläche eben durch ihre Flächigkeit (schwarz) langweilig und starr – im Gegensatz zu den Knöpfen, die mit ihrem interessanten Schattenwurf und ihrer suggerierten Bewegung zur Spule hin spannend sind.

Der Gedanke, die Knöpfe bewegen sich zur Spule und nicht von ihr weg, kommt durch den verweisenden Charakter der Knopffläche zur Spule hin.

Die vorherrschenden Kompositionsformen sind Kreise und Ellipsen (Knopf und Spule), aber auch im Kontrast dazu die eckige Fläche links unten.

Interessant ist die „Horizontlinie“ – links noch klar  zu erkennen, sucht man sie zwischen den Knöpfen rechts vergebens. Dort scheint der übergang zwischen Wand und Boden, zwischen gestrichelter dynamisch anmutender Fläche und flächig hellgrauer Fläche fließend: Eine interessante Kuriosität im Bild.

Besonders wichtig im Bild ist das Zusammenspiel von Hell und Dunkel: Die Spulentürme haben sich im oberen Teil stark von der wesentlich helleren Wand ab (Hell-Dunkel-Kontrast), während sie im unteren Teil mit den ebenso dunklen Knöpfen zu verschwinden scheinen.

Der Hell-Dunkel-Kontrast wirkt besonders stark beim schwarzem „Teppich“ unten links – gleich darüber und daneben befinden sich hellgraue Flächen, womit der Teppich und dessen Funktion – die Betonung der Spule – eine Stärkung erfährt.

Auch heben sich viele dunkle Knöpfe von ihren hellen Untergrund ab. Der Schattenwurf verstärkt diesen Effekt, den wir besonders gut unten rechts im Bild sehen. Auch tragen Knöpfe in sich diesen Kontrast, z. B. durch weiße Verzierungen.

Die genannten Hell-Dunkel-Kontraste sorgen für Spannung und Betonung der Knöpfe.

Das Licht im Bild fällt von links und lässt die Knöpfe lange Schatten werfen. Durch Licht, durch die plastische Modellierung der Objekte und durch die unzähligen spannend wirkenden überlagerungen der Knöpfe entsteht die Räumlichkeit im Bild.

Der Betrachtungspunkt ist leicht erhöht von oben herab, was dem Betrachter das Gefühl gibt, alles zu überblicken.

Die Darstellungsart ist naturgetreu realistisch, wie beim Sozialistischen Realismus üblich. Jedoch sind auch deutlich surrealistische Elemente enthalten, sodass eine Zordnung Wolffs zum Sozialistischen Realismus fragwürdig ist.

Interpretation

Willy Wolff - Knöpfe mit AußenseiterIch denke, Wolff spiegelt die Gegebenheiten in der DDR zu dieser Zeit (1955/56) wieder: Die Spule steht für das ZK der SED, dem Oberhaupt. Zu ihr bewegen sich alle Knöpfe (Menschen, Künstler) hin und verschwinden in einer schwammigen Masse, dem Kollektiv, welche sich der SED beugt.

Doch unter den Menschen/Knöpfen gibt es auch „andere“ Knöpfe: weiße Knöpfe, die einfach anders sind und herausfallen wir manche Menschen der damaligen DDR. Dennoch können sie aus dem Status quo nicht ausbrechen, wollen sich aber auch nicht vollends gleichschalten lassen. Knöpfe ändern nicht ihre Farbe, genauso wenig wie manche Menschen ihre Gesinnung.

Den schwarzen Teppich deute ich als ein Stück andere Welt, den Westen. Dorthin wo nur wenige kommen: Nur ein kleiner Knopf befindet sich halb darauf. Hätte er keinen Schatten wäre er kaum noch auszumachen. Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei diesem Knopf um den titelgebenden Außenseiter, der einen Weg fernab vom Diktat der Spulen/SED gefunden hat.

Die anderen Knöpfe/DDR-Bewohner haben sich kollektivieren lassen und bilden eine gut zu erkennende Grenze zur „Außenwelt“, der Eiserne Vorhand zwischen Ost und West. Allerdings könnten die Spulen auch die Führungskraft Sowjetunion symbolisieren, die ganz an der Spitze der Knöpfe/Ostblockstaaten steht. Dass sie Spulen und keine Knöpfe sind unterstreicht ihre Sonderstellung.

In der Tatsache, dass die Spulen leer, abgerollt sind, finden wir Kritik an den Herrschenden: Ihre Wort sind leer und nutzlos und ihr Bestreben obsolet und langfristig zum Scheitern verurteilt – so wie es am Ende auch die Geschichte gezeigt hat.

Der Knopf an der Spitze der Knopfherrs, ein besonders großer Knopf, der noch vor den Spulen steht, scheint die Richtung anzugeben und eine Art Führungsposition inne zu haben. Er könnte für Walter Ulbricht (auf DDR-Ebene) oder für Stalin (auf Sowjetunionebene) stehen. Jedoch starb letzterer bereits 1953, 2 Jahre vor Bildfertigstellung.
Alles in allem ist „Knöpfe mit Außenseiter“ ein Bild, das ausgeklügelt komponiert wurde und viele Interpretationsmöglichkeiten, wenn auch versteckt, enthält.

Wolff konnte sich unter den damaligen strengen Kunstdoktrinen keine öffentliche Kritik erlauben, weshalb er sich einer Allegorie aus dem Haushalt bediente.

Ergänzung von Pan Wolff, Sohn Willy Wolffs, zu dieser Klausur

"[Willy Wolff war] einer der sehr wenigen Künstler [...], die wirklich nicht das "produziert" haben was man von ihnen wollte. Sein gesamtes Werk spiegelt seinen eigenen Willen wieder. Um das zu verdeutlichen, will ich eine Begebenheit berichten. In den 60iger Jahren, also in einer Zeit wo es ihm wirtschaftlich, gelinde gesagt, wirklich nicht gut ging, lehnte er einen Auftrag ab. Man wollte ihn mit der Ausgestaltung der Empfangshalle des Dresdner Fernsehturmes beauftragen. Allerdings sollte er folkloristische Elemente verwenden. Das war ausschlaggebend genug für ihn, um den Auftrag nicht anzunehmen."

Pan Wolff in einer E-Mail vom 22.10.2008